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Montag, 11. September 2023

Das Ding mit der Freiwilligkeit bei Pferden - Was ist die letzte Konsequenz?



Ich habe da einen schönen Artikel gefunden, über den Umgang mit der Freiwilligkeit bei der Zusammenarbeit mit Pferden von Tanja von Salzen-Märkert


Ich möchte gern den Kommentar, den sie am 29. August 2023 auf Facebook geteilt hat hier zittieren, ich kann leider keinen Link dazu setzen. Der Artikel ist toll geschrieben und regt zum Nachdenken an. 

Zitat:

Seien wir ehrlich!
Das Ding mit der Freiwilligkeit ist für die meisten ein zweischneidiges Schwert...
- früher oder später fordert das Denken der TOTALEN FREIWILLIGKEIT ihren Tribut! Darauf sollte man/frau vorbereitet sein...
Ich komme gerade von einer sympathischen und was Pferde, ihre Versorgung und Haltung betrifft, fachkundigen jungen Frau, die ihr erstes eigenes Pferd ausbildet.
Sie hat es bereits als Fohlen gekauft und zu sich auf den heimischen Paddock geholt.
Dort lebte es in den vergangenen Jahren mit 4 Stunden Weidegang täglich in einer kleinen Gruppe mit 4 sehr gut zueinander passenden Pferden. Die Herde ist sehr harmonisch, es gibt nur ganz selten Auseinandersetzungen. Es herrscht Frieden und es fühlt sich an wie ein Ort, um aufzutanken...BEI DEN PFERDEN...
Es gibt diese 4 Stunden Weidegang pro Tag, daneben Heu/Stroh-Mix ad libitum, täglich ein paar Mineralbricks und das Rundum-Sorglos-Paket aller erdenklicher Fürsorge.
Selbstverständlich hat die junge Frau versucht, alles harmonisch und fair in die Wege zu leiten in puncto Zusammenarbeit. Schliesslich "soll das Reiten später Freude und nicht Zwang sein", so ihre sehr löbliche Denke.
Sie schulte im täglichen Umgang
- Kooperation,
- "eigenständiges" Denken (in dem Rahmen, in dem es
überhaupt etwas zu denken gibt),
- prompte Reaktionen auf Druck und körperliche Ansprache
- sie kann ihr Pferd selbstverständlich überall berühren, ab- und einsprühen, manövrieren,
- sie kann frei aufsitzen während es frisst und oben alle möglichen Bewegungen machen, ohne dass es sich erschreckt oder ängstigt.
- es allein auf einen Transporter verladen, hinein - und nach einer Pause sicher wieder heraus.
All das wurde immer und stets im Alltag gewissenhaft eingebaut, so, wie es sich ergab - und auch nur, wenn es einen Anlass dazu gab und sich die Situation förmlich anbot. Sie wollte ihren geliebten Chat niemals überfordern - das war ihr Versprechen ihm gegenüber. Alles sollte möglichst harmonisch und freiwillig ablaufen. Sie wollte, dass sie Freunde seien... Wahrhaftige Freunde, die die Freude des Lebens miteinander teilen würden...
Nun, in diesem Jahr ist Chat 5jährig und ein ausgewachsener Bursche.
Und es stellt sich heraus: gross ist er geworden!
Körperlich UND in seinem Selbstbewusstsein.
Er ist stark, klar, eindeutig, führt die Herde wie kein zweiter nur mit Mimik und seinem Ohrenspiel... Alle Pferde scheinen ihn zu mögen UND haben gleichzeitig Respekt vor ihm... Er ist muskulös und eine wahrhaftige Erscheinung. An Hormonen scheint es ihm trotz Kastration nicht zu mangeln - ein Hingucker!
Er hat in der Vergangenheit wie einst versprochen erlebt, dass er IMMER mitentscheiden durfte:
- ob er heute einen Sattel ausprobieren möchte, oder nicht.
- Ober JETZT die Hufe geben möchte - oder erst später.
- Ob er diesen Hufschmied möchte - oder einen anderen.
- Ob er sich JETZT an den Aufstieg stellt, so dass seine Halterin aufsteigen kann, oder nicht...
- und wann sie wieder dorthin transportiert wird, um abzusteigen (für gewöhnlich nach 2,5 Runden in der kleinen Halle am Paddock).
Und mit wachsender Erfahrung hat Chat sich jetzt ausgedacht, dass er - wenn er schon die Wahl hat - keine Lust mehr auf das alles hat. Freiwillig nutzt er seinen ihm eröffneten Raum und frei und willig gemäß seiner Tagesverfassung zu entscheiden...
Das hat er nicht nur über die Tierkommunikation mitgeteilt, sondern auch körpersprachlich mit reger Dynamik und deutlichem Ausdruck.
Die neue Frei-Willig-Keit wird jetzt von Chat höchstpersönlich eingefordert:
- Er mag keine Trense mehr anziehen (erst gab es darüber einige Diskussionen, weil mit 4 1/2 nochmal Zähne kamen - jetzt hat er entschieden: Es bleibt dabei - KEINE TRENSE ).
- Dann hat er entschieden, die Herde, in der er seiner Meinung nach so dringend gebraut wird, nicht mehr zu verlassen,
- dann gab er die Hinterhufe nicht mehr ohne grösseren Aufstand,
- nun gibt er gar keine Hufe mehr, ohne zu Schnappen,
- die Halle und das Stellen an den Aufstieg wird teils verweigert - auf freiwilliges an den Aufstieg stellen kann man lange warten - tt er nicht mehr,...
- und in den Anhänger geht er auch nicht mehr, da er sich gar nicht mehr vom Paddock bewegen lässt.
"WIESO das alles, obwohl es NIE eine negative Situation, einen Unfall oder etwas anderes Beeindruckendes gab???", ist die Frage, mit der mich die Halterin anrief.
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: man brachte ihm bei, auf seine Natur zu hören - und das tut er jetzt.
Das ist doch gut - oder nicht?
Darum ist man doch nie konsequent gewesen - um IHN nicht zu beschneiden - oder?!
Was anderes hätte er daraus lernen sollen oder gar können, wenn nicht "die eigene Wahl und Kraft zur Mitentscheidung zu haben"?!
***
Viele meiner Kundinnen stehen an diesem Punkt und befinden sich in einer Sackgasse.
Nimmt man die Scheuklappen von den Augen, zeigt sich, dass diese Sackgasse aus versehen selbst gemacht ist... an wichtigen Schlüsselmomenten nicht weit genug gedacht...
Besonders schlimm ist es für Pferde, die für JEDE eingene Entscheidung auch noch Leckeres verabreicht bekamen... Das hiess nämlich, die eigene Entscheidung hat einen XXL-Wert!
Und das merken sie sich selbstverständlich.
Ist doch gut - oder? Oder wofür sonst kam die Leckerei ???
***
Ich stand selbst dreimal mit eigenen Pferden an dieser Schwelle.
> Den einen hatte ich aus solch einer Freiheitserziehung übernommen, bevor er seiner Besitzerin wohlmöglich noch zu töten versuchte. Nachdem sein freier Wille und demzufolge sein Freiheitsdrang auch bei uns auf dem Hof mit viel Platz nicht in der Form möglich war, wie das, wohin er hineingezogen/erzogen wurde, landete in einer grossen Depression. Die einzige Heilung damals schien: ihn frei zu lassen.
... Er musste eines Tages erlöst werden. Gefangenschaft und Weisungen im Alltag hielt er nicht mehr aus.
> eine weitere Stute konnte das mit dem Reiten für sich nicht mit-(er)-tragen und ist das Bodenarbeitspferd bei einer Freundin gewordener, der es nie in den Sinn kam, sich auf ein solches Pferd zu setzen
> meiner jetzigen Stute steht es frei, geritten zu werden oder nicht. Und sie hat Glück: denn ICH bin jetzt die, die sich die Freiheit nimmt, das nicht mehr zu wollen!
Sie liebt ihre Freiheit sehr und geniesst ihr Leben.
Zu meinem Bedauern reitet sie aber gerne aus. > Wir haben also nach einer leichteren Frau als mich gesucht, um ihr diesen Genuss zu ermöglichen.
Und manchmal, wenn sie zart und betörend, fast etwas aufdringlich genug ist, schafft sie es, MICH zu überzeugen, auf ihren Rücken aufzusteigen. Sie transportiert mich dann, als wäre ich ihr Schatz und passt wunderbar auf, dass ich mir den Rücken nicht erneut wehtue...
Und dann ist es da, das Gefühl vollendeter Zusammenkunft.
Was ich damit sagen will: es gibt diese Pferde, die sich gerne reiten lassen. Oder die, die einen mitnehmen, weil man der Schlüssel für das Öffnen der Pforte in Menschengestalt ist, was wiederum einen Ausflug in die Natur und die Weite bedeutet...
Jedoch entscheiden die meisten Pferde, die ich kenne, sich für
- das Leben mit den Artgenossen,
- das Bleiben in der Herde,
- das Übernehmen einer Position innerhalb der Gruppe, die sie nicht sich selbst überlassen wollen
- die vollkommene Entscheidungsfreiheit
- jederzeitiges Umentscheiden (Was wirklich sehr gefährlich werden kann)
...vor allem, wenn bis dahin ALLES FREI UND WILLIG WAR!
Wer also ein Reitpferd haben möchte, für den ist es unumgänglich, seinem Pferd in Sachen Frustrationstoleranz zu schulen und es somit MENSCHEN-KONTEXT-ALLTAGSTAUGLICH zu erhalten.
Ansonsten hat man nämlich nicht zu einem Partner herausgebildet, sondern für einen dopamin- und erfolgsverwöhnten Junkie, dessen Wohlgefühl abhängig ist von der eigenen Wahl; dem Erfolg. Die Sucht (=Suche nach Erfolg und Depression liegen nah beieinander).
Nimmt man ihm dann die Wahl, kann er nur wütend oder traurig werden.
Einige werden Furien, andere depressiv und krank ->>> es sei denn, ihr habt die Wahl sie freizulassen!
Und ob das dann das ist, was sie sich ersehnten, stelle ich mal arg in Frage - denn : SIE KÖNNEN KEINE VORSTELLUNG DAVON HABEN, WIE SCHWIERIG ES HIER IST, 365 TAGE WILDPFERD ZU SEIN... Darauf sind die meisten von ihnen weder vorbereitet noch reif genug. Auch hatten sie keine Vorbilder...
Fazit: Ich kenne aktuell mehr Pferde, die sich nach Freiheit und Auswilderung sehnen, denn je....
...und unter Umständen hat das mehr mit uns und unserem Gefühl zu tun, gefangen zu sein (in sich selbst, innerhalb der Gesellschaft...), als mit ihrem...
Wenn das die Wahl unserer Pferde ist (und nicht unsere provozierte projektionsorientierte Erziehung von dem, was wir uns selbst für UNS wünschen), dann sollten wir darüber nachdenken, wie das umsetzbar ist: diese
NEUE PFERDEWELT!
P.S. Es gibt übrigens genügend Wildpferdeprojekte, bei denen man Patin eines betreuten, aber halb-wilden Pferdes sein kann. Ich halte das für einen schönen Anfang!!!
Bei allem, was ihr tut oder entscheidet, denkt bitte daran: es geht AUCH UM EUCH! Und es geht um einen praktikablen Weg ...
Ich kenne nur wenige, die glücklich sind, ein Wildpferd zu supporten.
Was für mich grösster Wunsch und Ziel ist, ist noch lange nicht für jede/n ein Vergnügen!!!
Ein Ausschnitt meiner täglichen Arbeit und zum Nachdenken - nicht zum Diskutieren gedacht....
Be. Das Projekt. Bist Du selbst!

Tanja von Salzen-Märkert 

Zitat Ende"

 
Lisa Peters: pferd.24-hs.de